Dekarbonisierung der chemischen Industrie bräuchte rund 50 Donaukraftwerke an zusätzlichem Ökostrom

16.08.2018 | Um die globalen Klimaschutzziele des Pariser Abkommens zu erreichen, werden realistische Reduktionspfade für den Kohlendioxid-Ausstoß benötigt. Der Fachverband der chemischen Industrie hat beim Institut für industrielle Ökologie eine Studie in Auftrag gegeben, die Möglichkeiten beleuchten soll, mit welchen Technologien die chemische Industrie bis 2050 klimaneutral werden kann und wie sich diese auf Stromverbrauch und CO2-Emissionen auswirken.

Für die energieintensive Branche stellt die Dekarbonisierung eine Herausforderung dar. „Wir stehen der Dekarbonisierung grundsätzlich positiv gegenüber“, erläutert Hubert Culik, Obmann des Fachverbandes der chemischen Industrie. „Mit Leichtbaumaterialien u.a. für die Elektromobilität, Dämmstoffen oder neuen Werkstoffen für die Stromspeicherung trägt die chemische Industrie bereits jetzt dank ihrer Innovationskraft viel zum Klimaschutz bei. Die Produktion klimaneutral zu gestalten, würde aber den Stromverbrauch drastisch erhöhen wie erste Zwischenergebnisse der Studie zeigen.“ 

Anhand verschiedener Szenarien wurde untersucht, mit welchen Technologieoptionen die Branche sukzessive zur klimaneutralen Produktion gelangen könnte. Wird etwa in Österreichs gesamter chemischer Industrie der Dampf statt mit Erdgas mit Strom erzeugt, so ließe sich der CO2-Ausstoß um die Hälfte minimieren. Allerdings sind diese Prozesse deutlich weniger energieeffizient als die derzeit eingesetzten und man würde hierfür 12 Terawattstunden mehr an sauberen Strom benötigen. Dies entspricht etwa der Leistung von 12 Wasserkraftwerken in der Größe von Freudenau.

50 Donaukraftwerke für Klimaneutralität

Dass man in der Kunststoffproduktion auf Rohöl verzichten kann und stattdessen den Kohlenstoff aus den CO2-Abgasen gewinnt, ist heute noch Zukunftsmusik. Mit dieser Technologie sowie mit der Verstromung der Dampferzeugung und der Ökologisierung wichtiger chemischer Prozesse (z.B. Gewinnung von Wasserstoff mittels Elektrolyse aus Ökostrom statt Erdgas) würde die chemische Industrie sogar mehr CO2 einsparen, als sie momentan emitiert. Einziger Haken: Der Sektor allein hätte einen zusätzlichen Strombedarf von 50 Donaukraftwerken Freudenau oder etwa 11.000 Windrädern. Das entspricht circa 70 Prozent des derzeitigen Strombedarfs Österreichs. „Wenn wir bedenken, dass auch andere Industriebranchen und Sektoren wie Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft entsprechende Dekarbonisierungsschritte setzen müssen, stoßen wir rasch an die Grenzen der Physik“, zieht Culik das Fazit aus den bisherigen Studienergebnissen.

„Abgesehen vom enormen Strombedarf und der dafür notwendigen Energieinfrastruktur müsste allein die chemische Industrie jährlich rund 1,2 Milliarden Euro investieren, um klimaneutral zu werden. Damit wäre Österreichs Chemie im internationalen Wettbewerb gar nicht mehr konkurrenzfähig“, gibt Culik zu bedenken. „Wir dienen nicht der Umwelt, indem wir durch unsere Klimaschutzpolitik die Produktion zur Abwanderung in Länder erzwingen, in denen der CO2-Ausstoß pro Tonne deutlich höher ist. Der Klimawandel ist keine Herausforderung, die sich national oder regional im Alleingang lösen lässt.“

Die endgültigen Studienergebnisse, die für September zu erwarten sind, werden auch Möglichkeiten für den steigenden Einsatz von Biomasse berücksichtigen, um fossile Rohstoffe ersetzen zu können. Hier forscht die Branche bereits intensiv nach völlig neuartigen Verfahren und Materialien.

 

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