Mit Stroh oder Abwasser das Klima schützen?

15.12.2020 | Den Einsatz erdölbasierter Rohstoffe verringern, Kohlendioxid als eines der wesentlichsten Treibhausgase einsparen und auf nachwachsende Materialien setzen, das alles kann die biobasierte Industrie, deren aktuelle Forschungen Thema beim gestrigen „Stakeholderdialog Biobased Industry“ waren. Die Veranstaltung wurde vom BMK und dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs als Kooperationspartner gemeinsam ausgetragen.

Ein Großteil der Produktion der chemischen Industrie basiert auf dem Rohstoff Erdöl (und Erdgas), aus dem man das Kohlenstoffgerüst für sämtliche Produkte nimmt. Doch Erdöl und Erdgas stellen nicht nur begrenzte Ressourcen dar, ihre Nutzung als Energieträger lässt CO2 freiwerden, das bereits seit abertausenden Jahren der Atmosphäre entzogen war. Daher sucht die Branche nach Rohstoffen, die Erdöl ersetzen könnten. Kohlenstoffgerüste lassen sich aus allen biogenen Materialien gewinnen. Insofern ist der Begriff Dekarbonisierung irreführend, denn Ziel ist eine Kreislaufführung von CO2.

Die Herausforderung dabei ist, einen Rohstoff zu finden, der in großen Mengen verfügbar ist, keine zusätzlichen Anbauflächen erfordert und der nicht schon groß eingesetzt wird, wodurch sich eine Konkurrenzsituation mit anderen Branchen ergeben würde. Ziel ist es dann, alle Komponenten dieses Rohstoffes in mehreren Zyklen bestmöglich auszunützen und erst den Rest der Verbrennung zuzuführen. „Das Lösungswort bei der biobasierten Industrie heißt kaskadische Nutzung“, erklärt Hubert Culik, Obmann des Fachverbandes der Chemischen Industrie im Rahmen seiner Eröffnungsrede bei der Veranstaltung. „Angesichts der beschränkten Verfügbarkeit von Biomasse ist eine mehrfache Nutzung der Ressourcen unumgänglich.“

Die Keynote der TU Wien zeigte gleich zu Beginn auf, was mit dem Rohstoff Stroh in einer Bioraffinerie alles zu leisten möglich wird: das daraus gewonnene kolloidale Lignin kann als UV-Schutz, Biozide, Antioxidationsmittel, Emulgator und sogar als Wirkstoffträger in der pharmazeutischen Industrie eingesetzt werden.

Dass die Struktur von Lignin auch in der Herstellung von biobasierten Kunstharzen eine Rolle spielen kann, zeigte ein weiteres Projekt, das sich mit Phenolen beschäftigt, die vor allem in der Bauindustrie und in der Isolierung als Bindemittel eingesetzt werden. Aktuell wird auch an der Ersetzung von Palettenverpackungen durch biobasierten Kunststoff geforscht. Ein weiteres Projekt zum Thema Plastik setzt sich mit sogenannten Composites – Faserverbundsstoffen auseinander, die auf Basis nachwachsender Rohstoffe erzeugt werden. Die Forschung beschäftigt sich auch mit dem Recycling von Kunststoffen mittels Enzymen, die helfen sollen, beispielsweise mehrschichtige Verpackungen, PET Gebinde oder Mikroplastik aus Abwasser schrittweise in ihre Einzelteile zu zerlegen.

Eine beliebte Quelle für organisches Material sind Abfallströme. Aus Klärschlamm, Bioabfall und Abwasser kann man mit Hilfe von Bakterien in einer Bioraffinerie wertvolle Ressourcen zurückgewinnen: Zellulose, Zuckerbausteine, PHA (Biopolyester) oder den natürlichen Zellschutzfaktor Ectoin.

Trotz der zahlreichen positiven Beispiele beim Stakeholderdialog stehen wir noch eher am Beginn des Wandels zur Bioökonomie. „Es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns“, erläutert Culik. „Die chemische Industrie forscht intensiv nach neuen, biobasierten Rohstoffen. Die Politik ist gefragt, Anreize zu schaffen, um für das richtige Umfeld für weitere Innovationen zu sorgen.“

Einig waren sich alle Teilnehmer, dass die richtigen Rahmenbedingungen und vor allem die Forschungsförderung für die Arbeit hin zu einer biobasierten Industrie essenziell sind. „Auch wenn die Corona-Pandemie das staatliche Budget momentan sehr gelastet, so darf die Forschungsarbeit für die biobasierte Industrie nicht unter die Räder kommen“, warnt Culik und ergänzt: „Es ist sehr erfreulich von Ministerin Gewessler zu hören, dass für das kommende Jahr eine Ausschreibung geplant ist, die uns in diesem Bereich zugutekommen wird. Auf dem Weg zur Klimaneutralität leistet die biobasierte Industrie einen wesentlichen Beitrag.“

Der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) vertritt die Interessen von etwa 300 Mitgliedsunternehmen. Mit etwa 46.000 Beschäftigten erwirtschaftet die chemische Industrie einen Produktionswert von circa 16 Milliarden Euro. Sie ist international ausgerichtet und exportiert mehr als zwei Drittel ihrer Erzeugnisse.

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