Energizing Chemistry - Transformation trifft Krise

Die Energiekrise hat heftige Auswirkungen auf die Unternehmen der chemischen Industrie. Massiv gestiegene Energiekosten und die unsichere Versorgungslage erschweren die Wettbewerbsfähigkeit der Branche, die mit ihren Produkten essenziell zum Gelingen des Europäischen Green Deals beiträgt. Gleichzeitig steckt die Branche selbst mitten in der Transformation zur Klimaneutralität. Am Weg der Dekarbonisierung ist die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen unabdingbar.

Die Herausforderungen, denen sich Unternehmen momentan stellen müssen, zeigte die Veranstaltung vom 28.2. deutlich auf. Egal ob Gas als Rohstoff oder für die Prozesswärme eingesetzt wird oder für die Produktion große Mengen an Strom benötigt werden, die aktuellen Preise erfordern viel Kopfzerbrechen. Hubert Culik, Obmann des Fachverbands der Chemischen Industrie, konstatierte in seiner Eröffnungsrede, dass sich der Gaspreis im vergangenen Jahr verzehnfacht hatte und dass die Verfügbarkeit von Gas und Strom in diesem Winter nur auf Glück und nicht auf die Voraussicht aller Akteure zurückzuführen war. Er mahnt von der Politik mehr Realismus und weniger Ideologiegetriebenheit ein, um die Wirtschaft nicht mit vorauseilenden Verboten an die Wand zu fahren.

Der Energieexperte Wolfgang Anzengruber zeigte in seiner Keynote auf, dass wir in Österreich noch weit entfernt davon sind, die Stromversorgung völlig autonom durch erneuerbare Quellen aufstellen zu können. Auch den Bruttoinlandsverbrauch von Gas in der Höhe von 89 TWh können wir gerade einmal mit 10 TWh aus eigener Produktion decken. Um diesen Bedarf mit Biomethan zu befriedigen, bräuchte es 5000 Biomasseanlagen. Sollte ein Veranstaltungsteilnehmer noch die Ausrede verwendet haben, dass ja nicht wir in Europa die großen CO2-Emittenten wären, so führte Anzengruber jeden mit Grafiken anschaulich vor Augen, dass auch wir durch unseren Konsum die Verursacher des chinesischen CO2-Ausstoßes sind. Am Ende der Keynote mahnte er die erforderlichen Rahmenbedingungen ein: etwa die Definition von Kennzahlen für Nachhaltigkeit, eine Taxonomie idealerweise auf globaler Ebene, ein Überdenken von fragmentierten Wertschöpfungsketten, eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren oder ein Ende der Denkverbote für Kompensationstechnologien wie etwa CCS und CCU.

Andreas Steinbüchler, Geschäftsführer Borealis L.A.T, zeigte auf, wie prekär die Lage für Düngemittelproduzenten in Europa aktuell ist. Da die Ammoniak-Produktion auf Erdgas als Rohstoff basiert, haben sich die Kosten etwa im Vergleich zu Russland verzehnfacht. Importe aus Russland verdrängen lokale Produzenten in der EU, was schon zu zahlreichen Schließungen von europäischen Anlagen geführt hat. Welche Auswirkungen dieser Umstand auf die weltweite Klimabilanz hat zeigen folgende Zahlen: Die CO2-Emissionen bei der Salpetersäureproduktion in der EU im Vergleich zu Russland stehen im Verhältnis 1:24. Bisher kann Steinbüchler noch keine relevanten Bemühungen erkennen, die Lage für europäische Düngemittelhersteller zu verbessern. Er sieht konkrete Maßnahmen durch die Sorge um die Nahrungsmittelsicherheit überlagert. Zu bedenken gibt er, dass das Unternehmen 100 Prozent mehr Strom bräuchte, wenn es 10 Prozent des Gasbedarfs mittels Elektrolyzer bereitstellt. 

Gottfried Rosenauer, Director Site Services Lenzing AG, gab zu bedenken, dass Gas aus Russland weniger Umweltbelastung aufzuweisen hat als LNG. Das Unternehmen wird nicht nur von hohen Strom- und Gaspreisen geplagt, sondern auch der Holzpreis ist in Europa im vergangenen Jahr kräftig gestiegen. Das Unternehmen bezieht bereits jetzt den Großteil seines Wärmebedarfs aus Laugen und Reststoffverwertung. Zudem hat man in PV-Anlagen mit über 7.000kWp investiert. Zu bedenken gab Rosenauer allerdings, dass eine Produktion ständig Dampf bedarf, auch wenn gerade eine Wolke am Himmel steht und dass trotz des zu erwartenden Jahresertrags von mehr als 7 GWh die PV-Anlage gerade einmal ein Prozent zum Bedarf des Unternehmens beiträgt. Zudem brauchte der Genehmigungsprozess für die Anlage zwei Jahre.

Rene Haberl, Vorstand Treibacher Industrie AG, rechnete in seinem Vortrag vor, dass sich die Kostensteigerungen für das Unternehmen durch die gestiegenen Energiepreise  auf 30 Mio Euro belaufen. Der Energieanteil am Umsatz ist von drei auf zehn Prozent gestiegen. Einen kleinen Teil der Kosten konnte man durch eine H2-Rückführung im Ausmaß von 2 GWh einsparen. Haberl machte darauf aufmerksam, dass in Kärnten bisher selbst auf Industriefreiflächen keine PV-Anlagen erlaubt waren. Das Unternehmen plant, in den nächsten 5 Jahren 30 Prozent CO2 einzusparen und den Umsatz aus Recyclingaktivitäten um 50 Prozent zu erhöhen. Dank einer 110 Millionen Euro Investition können schon jetzt 500.000 Tonnen Roherz durch eine Anlage ersetzt werden, die Vanadium - ein in der EU versorgungskritisches Material - aus gebrauchten Katalysatoren gewinnt. Er fordert, den Standortnachteil Energie durch genügend Risikokapital und Technologieförderung zu kompensieren.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich alle Teilnehmer einig, dass Ideologiegetriebenheit einer Lösung bei Energie- und Klimafragen oft im Weg steht. Monika Köppl-Turyna (Direktorin von EcoAustria) warnte die Politik davor, zu viel mit Verboten und Regulatorien zu arbeiten und die Technologieentwicklung dadurch nicht zuzulassen. Rene Haberl (Vorstand Treibacher) sieht auch ein Problem darin, dass sich die einzelnen Bundesländer rühmen energieautark zu sein oder ihren Strom zu 100 Prozent aus Wasserkraft zu beziehen. Dies erweckt bei der Bevölkerung den Eindruck, dass die Errichtung von Windkraft- und PV-Anlagen gar nicht notwendig ist, schon gar nicht vor der eigenen Haustür. Hier muss sich innerhalb der Gesellschaft die Einstellung ändern. Michael Spiekermann (Pressesprecher Fridays for Future) wünscht sich ein starkes Klimaschutzgesetz und hält Regulatorien dort für notwendig, wo man das Verständnis der Bevölkerung nicht voraussetzen kann. Als Beispiel nennt er die fälschliche Annahme, dass man Haushalte mit grünem Gas beheizen könnte. Hier sieht Isabella Plimon (Abteilungsleiterin BMK) keinen Handlungsbedarf, da nach ihrer Einschätzung die Notwendigkeit zum Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen von der Bevölkerung bereits erkannt wurde. Dies zeigt nicht nur die Zunahme der Anrufer bei der Hotline "Raus aus Gas", sondern auch die Lieferschwierigkeiten, mit denen Installateure aktuell konfrontiert sind und die kein Ende nehmen.

Dass wir uns nach der Abhängigkeit von russischem Gas und PV-Komponenten aus China nun schon wieder in eine neue Abhängigkeit begeben, wenn wir uns nach Wasserstoff aus Katar umsehen, davor warnen sowohl Anzengruber als auch Köppl-Turyna. Anzengruber rät dazu, sich vom Gedanken der Autarkie zu verabschieden und Diskussionen nicht zu verweigern. Er warnt außerdem davor, die Signale nicht wirken zu lassen und stattdessen Förderungen auszuschütten und nennt als Beispiel, dass Erhöhung der Mineralölpreise gleich mit einer Steigerung bei der Pendlerpauschale ausgeglichen wird. Dies sieht Köppl-Turyna ähnlich, ihrer Meinung nach sollen nur Betriebe in internationalen Wettbewerb, die die Preiseerhöhungen nicht weitergeben können, unterstützt werden. Als erfüllt beurteilt Plimon diese Forderung mit einem 3 Milliarden Euro schweren Förderprogramm für die energieintensive Industrie bis 2030, dessen erster Topf im kommenden Herbst geöffnet wird. Gleichzeitig bittet sie die Industrie um Feedback, ob - wie in Deutschland - auch in Österreich ein Modell von Carbon Contracts for Difference gewünscht wird.

Dass der Green Deal nur erfolgreich und ein weltweites Vorbild sein kann, wenn er zu keinem Wohlstandsverlust führt, davon ist Haberl überzeugt. Laut Spiekermann muss die Politik ein Narrativ finden, das alle zum Mitmachen bewegt. Köppl ist überzeugt, dass mit dem Wirtschaftswachstum in ärmeren Ländern auch das Interesse für Nachhaltigkeit wachsen wird. Einen wichtigen Hebel zur Forcierung der Nachhaltigkeit ortet Anzengruber in der Bildung, mit der solche Themen dann eine demokratische Mehrheit bekommen können.

    

 

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